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DHV: 18. April 2024 10 Jahre Mindestlohn: Licht und Schatten

Vor zehn Jahren wurde die Einführung des Mindestlohns beschlossen. Der von Kritikern befürchtete massenhafte Wegfall von Arbeitsplätzen im Niedriglohnbereich und ein damit verbundener Anstieg der Arbeitslosigkeit unter den Geringverdienern ist ausgeblieben. Unter dem Strich steht positiv ein überproportionaler Einkommenszuwachs für diese Arbeitnehmergruppe zu Buche. Aber es gibt auch problematische Aspekte, die sich in den vergangenen Jahren noch weiter verschärft haben.

Die Bedenken gegen den Mindestlohn waren vor zehn Jahren erheblich. Von einem Einstieg in eine staatliche Lohnfestsetzung war die Rede. Kritiker befürchteten einen massiven Abbau von Arbeitsplätzen und damit verbunden einen erheblichen Anstieg der Arbeitslosigkeit im Niedriglohnsektor. Es wurde gar die Gefahr von Unternehmensinsolvenzen an die Wand gemalt, weil viele Unternehmen die massiv steigenden Personalkosten nicht mehr tragen könnten.

Diese Befürchtungen haben sich nicht bestätigt. Die Arbeitslosenquote ist weiter niedrig in Deutschland, und das trotz der wirtschaftlichen Krise, in der sich Deutschland seit Corona befindet. Die Beschäftigten im Niedriglohnsektor profitieren in positiver Weise vom Mindestlohn, der in den letzten überproportional zur allgemeinen Entwicklung der Löhne und Gehälter gestiegen war. Arbeit gibt es auch weiterhin im Niedriglohnsektor. Ein massenhafter Abbau von Arbeitsplätzen infolge eines Rationalisierungsdrucks wegen des Mindestlohns ist nicht eingetreten. Unter diesen Aspekten ist der Mindestlohn ein Erfolg. Die damalige Bundesregierung hatte gut daran getan, den Bedenkenträgern nicht zu folgen und den Mindestlohn gegen Widerstand der Wirtschaft durchzusetzen!

Dennoch gibt es problematische Aspekte und Handlungsbedarfe:

Die Befürchtung der DHV, dass der Mindestlohn zum Spielball politischer Interessen wird, haben sich leider erfüllt. Die vom Gesetzgeber eingesetzte Kommission zur Festlegung des Mindestlohns nach genau vorgegebenen Kriterien hat die Ampelregierung nicht davon abgehalten, sich über die gesetzlichen Maßgaben hinwegzusetzen und den Mindestlohn überproportional zum 01.10.2022 auf 12 Euro zu erhöhen. Und nicht einmal ein halbes Jahr danach wurden wieder Forderungen nach einer weiteren überproportionalen Erhöhung laut. Die Politik muss die Arbeit der Mindestlohnkommission respektieren und darf diese nicht nach Gutdünken durch willkürliche Erhöhungen des Mindestlohns konterkarieren!

Die Beschäftigten im Niedriglohnsektor leiden in besonderem Maße unter der hohen Inflation der vergangenen beiden Jahre und der weiterhin hohen gefühlten Inflation bei den Gütern für den täglichen Bedarf. Der Mindestlohn kann den schmerzlichen Kaufkraftverlust nur bedingt auffangen. Er kann nicht entsprechend der Inflation einfach angehoben werden. Eine solche Maßnahme würde insbesondere die über dem Mindestlohn verdienenden Beschäftigten benachteiligen, weil deren Gehälter nicht einem solchen Automatismus unterliegen würden und sich der in der Vergütung zum Ausdruck kommende Wert ihrer Arbeit zu Lasten der nach Mindestlohn vergüteten Arbeit verschieben würde. Eine überproportionale Mindestlohnanhebung kann auch zu dem befürchteten Effekt eines erheblichen Abbaus von Arbeitsplätzen im Niedriglohnsektor führen und letztendlich den Geringverdienern mehr schaden als nützen. Die Politik muss die unter den Mindestlohn fallenden Geringverdiener durch eine konsequente Bekämpfung der Inflation und in Form von wirksamen staatlichen monetären Entlastungen unterstützen! Staatlichen Ausgaben müssen konsequent auf den Prüfstand gestellt werden, um ein Ausufern der Schuldenpolitik und ein weiteres Befeuern der Inflation zu vermeiden. Geringverdiener können wirksam unterstützt werden, indem sie für ihre Arbeit nicht nur keine Steuern zahlen müssen, sondern gar eine steuerliche Gutschrift in Form einer negativen Einkommenssteuer erhalten. Dieses Modell wird in Österreich mit Erfolg praktiziert.

Eine überproportionale Entwicklung des Mindestlohns wie in 2022 hat erhebliche Auswirkungen auf das Lohnabstandsgebot zu höheren Lohn- und Gehaltsgruppen in vielen Tarifverträgen. Zur Wahrung eines angemessenen Abstands zwischen den Vergütungsgruppen müssten die anderen Tarifgehälter ebenfalls überproportional angehoben werden. Damit steigt aber die Gefahr des Scheiterns von Tarifverhandlungen und des Eintritts eines tariflosen Zustands. Die Politik muss auch aus Gründen des Lohnabstandsgebots von Forderungen nach überproportionalen Anhebungen Mindestlohnanhebungen absehen und stattdessen die Geringverdiener anderweitig entlasten!

Der beste Schutz gegen Lohndumping und Armut ist eine flächendeckende Tarifbindung. Davon ist Deutschland mit einem Anteil von nur rund 40 Prozent tarifgebundenen Arbeitnehmer/innen erschreckend weit entfernt. Die Bundesrepublik Deutschland muss gemäß den Maßgaben der EU-Mindestlohnrichtlinie in den nächsten Jahren einen Aktionsplan zur Steigerung der Tarifbindung auf 80 Prozent erstellen. Der Aktionsplan muss neben dem Ziel eines einheitlichen Branchenlohnniveaus auch Gewerkschaften außerhalb des DGB einen Schutz ihrer gewerkschaftlichen Betätigung gewährleisten. Die Aberkennung der Tariffähigkeit von Gewerkschaften wie der DHV führt dazu, dass deren Tarifverträge unwirksam werden, für deren Mitglieder die Tarifbindung erlischt und das Gehaltsniveau zu sinken droht.  Die Bundesregierung muss insbesondere die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen erleichtern mit dem Ziel, so flächendeckend wie möglich ein Niveau mit Branchenmindestlöhnen zu gewährleisten! Die Steigerung der Tarifbindung darf nicht dadurch erschwert werden, dass an die Tariffähigkeit von Gewerkschaften außerhalb des DGB unerreichbar hohe Hürden gestellt werden!

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Gedruckt am 07.11.2024 19:33.