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Die Situation vor der Bundestagswahl - ein Kommentar von Adalbert Ewen, CGB Bundesvorsitzender

Nicht zuletzt die Feststellungen im aktuellen Bericht des Weltklimarates (IPCC) belegen, daß nach den letzten Hitze-, Flut-und Dürrekatastrophen endgültige Sicherheit bestünde, daß der Mensch die Ursache für diese Ereignisse sei. Jetzt müsse es gelten, die Ziele des Pariser Klimaabkommens unbedingt einzuhalten, ermahnen uns fast alle Experten, insbesondere die Welt -nicht nur die westliche- bis 2050, gegebenenfalls noch schneller, CO2-neutral zu wirtschaften.

Vor der Bundestagswahl, die von diesem Thema in hohem Maß bestimmt sein wird, einem zunehmend eskalierendem Wahlkampf, der zunächst nicht recht in Fahrt zu kommen schien, sollten wir uns bewusst werden, daß die notwendigen Problemlösungen keine eindimensionalen Maßnahmen und Schuldzuweisungen vertragen. Es gilt diesbezüglich die alte Volksweisheit: “Die meisten Menschen haben zwei Arten von Moral:eine für sich und eine für andere.“ Der IPCC-Bericht veranschaulicht jedenfalls, bei allen unterschiedlichen Auslegungsversuchen und -möglichkeiten eines: Der einzelne kann da nicht allzu viel ausrichten, Staaten aber umso mehr. Das bedeutet deshalb auch, daß durch klimapolitische Maßnahmen in Deutschland Wichtiges erreicht werden kann, die wirklichen Fortschritte müssen aber über globale Verbesserungen, besonders in den Ländern, die noch sehr auf Kohle, Erdöl und eine extensive Landwirtschaft setzen, mittels außenpolitischer Bündnisse erreicht werden. Die Beschreibung der Apokalypse führt nicht weiter, eine Überforderungspanik der Bürger und die Furcht der Politik vor deren Auswirkungen lähmt mehr, als daß sie der Klimapolitik einen Schub versetzt.

Was in Wahlkampfzeiten vielen Protagonisten so unendlich schwer fällt,sind ein ausgeprägter Realismus und ein durchgehend nachhaltiges Denken.

Es ist richtig, daß der Bund und die Länder aufgrund der immensen Schadenssummen durch Pandemie und Flut sehr teure Hilfspakete schnüren und sich darauf verständigen mußten, zeitweise höhere Schulden und längere Tilgungsfristen zuzulassen. Ein Staat muß auch Schulden machen können. Daneben gilt es aber Prioritäten zu setzen. Wir dürfen nicht über unsere Verhältnisse leben. Auch die Finanzpolitik braucht mehr denn je nachhaltiges Denken und Handeln. Bei der Debatte wieviele Milliardeninvestitionen unsere Infrastruktur und Wirtschaft brauchen, dürfen wir nicht vergessen, wer diese Schulden zurückzahlen muß und wie das gelingen kann. Die Niedrigzinspolitik der EZB, die nach Meinung vieler noch sehr lange praktiziert werden müßte, um den Investitionsbedarf der Staaten gewährleisten zu können, könnte abrupt eingebremst werden. Der Bundesbankpräsident warnt hinsichtlich des sich beschleunigenden Preisauftriebs vor einer notwendigenden Zinsanhebung. Jedenfalls ist die EZB nicht dazu da, sich um die Solvenzsicherung von Staaten zu kümmern.

Nachhaltiges Denken muß all diese Entwicklungen mit den möglichen Auswirkungen frühzeitig hinterfragen. Oft ist schnelles Handeln notwendig, eine kluge,durchdachte Vorgehensweise führt aber immer weiter.

Zurecht wird beispielsweise der Wasserstoffwirtschaft eine große Zukunft prognostiziert. Das Heil allein erbringt aber keineswegs eine alleinige Präferierung des sogenannten „grünen“Wasserstoffs, der ausschließlich mit Hilfe regenerativer Energiequellen hergestellt wird und die nicht schnell genug in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen werden. Ähnlich wie bei der Elektromobilität, bei der viele ihrer Befürworter kein Verständnis für eine stärkere technologieoffenere Haltung haben und damit Probleme beim industriellen Tranformationsprozeß geradezu heraufbeschwören, könnte ein Außerachtlassen der Chancen, die sogenannter „grauer“ Wasserstoff, der aus Erdgas gewonnen wird, bedeuten,daß wir nicht die nötige Zeit bekommen, die notwendigen Technologien und den Aufbau einer Infrastruktur für die Wasserstoffwirtschaft im allgemeinen zu beschleunigen bis genügend grüner Strom zur Verfügung steht. Das bei der Erzeugung grauen Wasserstoffs freigesetzte CO2 könnte problemfrei mittels der sogenannten Abscheidungstechnologie entsorgt werden. Der Fortschritt wird eben erst dann wirklich einsetzen,wenn die Menschen ihn wirklich leben und wollen.

Viele Themen werden im Wahlkampf nur schlagwortartig behandelt und nicht mit der erforderlichen Ernsthaftigkeit meinungsmäßig ausgetragen.

Die Sicherheit unserer Renten, die Zukunftsfähigkeit des Rentensystems wird allenthalben beteuert, der dringende Reformbedarf aufgrund bereits überschießender staatlicher Stützungsgelder aber weitgehend verdrängt. Ein wieder besserer Arbeitsmarkt wird die Folgen des demographischen Wandels auch wegen einer zunehmenden Digitalisierung der Wirtschaft, die Arbeitsplätze kostet, nicht abfedern können.Wir brauchen eine grundlegende, sozial verantwortbare Reform des Systems mit einer Stärkung der privaten Altersvorsorge..

Die Situation in der Arbeitswelt,die notwendigen Veränderungsbedarfe tragen wir derzeit aus unserer christlichen Gewerkschaftssicht der Bundesregierung und den Parteien vor.

Die Entwicklung der Mobilität in unserem Land verdient nicht nur eine verkehrstechnische Betrachtung,sondern muß auch in den Betrieben und Dienststellen neu bewertet werden. Nach der Pandemie wird das Homeoffice weiter eine zentrale Bedeutung behalten. Es braucht dringend hierfür gesetzliche und tarifliche Regelungen. Große Sorgen müssen wir hinsichtlich des Wegfalls des derzeitigen Insolvenzschutzes haben. Die Wirschaft wächst zwar wieder. Wie hoch und mit welchen Auswirkungen werden bevorstehende Insolvenzen aber ausfallen?

In der Berufsbildung müssen zumindest wegen der Auswirkungen der Pandemie neue Wege beschritten werden. Eine gesetzliche Ausbildungsgarantie sollte vorurteilsfrei diskutiert werden.

In einigen Automobilfirmen und Zulieferbetrieben berichten Betriebsräte von einem Mißbrauch des Anziehens der Klimaschutzvorgaben für verschärfte Restrukturierungsmaßnahmen.Es gäbe verstärkte Pläne für Standortverlegungen und neue Schichtsysteme.Beschäftigte würden nicht mehr weiterqualifiziert. Die Weiterentwicklung der betrieblichen Mitbestimmung wird vieles nicht verhindern können,aber zusätzliche Gestaltungsmöglichkeiten eröffnen,um auch in solchen Fällen einwirken zu können.

Wir brauchen mehr denn je tatkräftige Gewerkschaften und eine Pluralität im System, die die Interessenvielfalt berücksichtigen hilft und keine weitere Schwächung der Tarifautonomie sowie der gesellschaftlichen Selbstorganisation zuläßt. Kleine Zuständigkeitsbereiche,aber beachtliche Organisationsgrade von Gewerkschaften müssen besser geschützt werden, einem gewillkürten Absinken der Tarifbindung durch Gesetzgebung und Rechtsprechung muß ein Riegel vorgeschoben werden. Nicht zuletzt die Tarifauseinandersetzung bei der Bahn zeigt, daß wir gerechtere gesetzliche Regelungen dringendst benötigen. Wir müssen sich verfestigenden Machtstrukturen und Kungeleien entschieden begegnen und versuchen,dafür neue Partner zu finden.

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Gedruckt am 20.04.2024 10:12.