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Kommentar CGM Bundesvorsitzender Adalbert Ewen: Minijobs, Einkommen und Armutsrisiko

Deutschland galt zu Beginn des neuen Jahrtausends noch als „der kranke Mann in Europa“. Wie konnte es daher gelingen, die Situation deutlich umzukehren und Deutschland eine – ob zu Recht oder Unrecht zugesprochene – Vorbildfunktion zukommen zu lassen? Sowohl im Inland wie im Ausland wird die Bedeutung der Arbeitsmarktreformen unter der Regierung Schröder in den Jahren ab 2001, besonders aber verbunden mit den sogenannten „Hartz-Reformen“ der Jahre 2003 bis 2005 hervorgehoben. Die Bundesregierung knüpfte dabei an den Ansatz der sogenannten Flexicurity an, d.h., es wurde eine stärkere Aktivierung der Arbeitssuchenden eingefordert, indem die rechtlichen Grundlagen einzelner Formen atypischer Beschäftigungsgelegenheiten umfassend dereguliert wurden. So wurde unter anderem auch die Schaffung von geringfügiger Beschäftigung aus der Arbeitslosigkeit heraus stärker gefördert, vor allem im expandierenden Dienstleistungssektor. Dennoch widerstand man der Verlockung zur Hochzeit der neweconomy diesen, vor allem aber den Finanzsektor weiter auszubauen. Stattdessen wollten alle Regierungen den Industriestandort Deutschland erhalten und weiter stärken, wozu auch eine besondere Unterstützung des Mittelstandes mit insgesamt 1400 Unternehmen, die Weltmarktführer sind, gehörte. Dabei hat das Verhältnis zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern eine große Rolle gespielt. Die Tarifpartner stellten die Sicherung der Beschäftigung ganz konsequent in den Vordergrund, was entscheidend für den deutschen Erfolg und unsere Wettbewerbsfähigkeit war.

Die Bedeutung der Arbeitsmarktreformen wird daher oft überzeichnet. Sehr flexible Tarifabschlüsse mit den Gewerkschaften trugen dazu bei, dass die Eigenkapitalbasis der Unternehmen verstärkt und die Profitabilität erhöht werden konnte. So konnte auch auf dem Höhepunkt der Finanzkrise 2009 u.a. mittels des InstrumentsKurzarbeit ein größeres Firmensterben vermieden werden.

Nichtsdestotrotz gibt es einen Zusammenhang zwischen hohen Wachstumsraten und ungleichen Einkommen. Die Arbeitslosigkeit konnte in Deutschland durch die Reformen von fünf auf drei Millionen reduziert werden. Die angemessene Lohnpolitik hat viele gut bezahlte Arbeitsplätze in der Industrie gesichert. Deshalb auch hat Deutschland einen höheren Industriebeschäftigungsanteil als beispielsweise Frankreich oder England und zudem einen großen Exportüberschuss, weil ein Großteil der Industrieproduktion in den Weltmarkt geht.

Gab es insoweit Anfang des Jahrtausends einen Reallohnverlust, haben es die Gewerkschaften ab 2005 aber zunehmend verstanden, diesen Trend wieder umzukehren. Was als Problem übrig geblieben ist, ist in der Tat die stark gestiegene Zahl (insgesamt über 7 Millionen) atypischer Beschäftigungsverhältnisse (Minijobs, Teilzeitbeschäftigung und Zeitarbeit). So sehr sie mehr Flexibilität gewährleisten helfen, führen sie bei den Sozialversicherungsträgern auch zu deutlichen Einnahmeverlusten und werden zu einer steigenden Altersarmut, insbesondere bei Frauen, führen, deren Durchschnittsrente schon deutlich unter der von Männern liegt. Sogenannte „Minijobber“ sind nicht gegen Arbeitslosigkeit versichert und auch nicht eigenständig in der gesetzlichen Rentenversicherung abgesichert. Letzteres ist seit kurzem, wenn auch völlig unzureichend, durch den Gesetzgeber ermöglicht worden. Durch Minijobber kommen zunehmend natürlich die Tarifentgelte unter Druck, weil seit zehn Jahren die damalige Begrenzung auf eine zulässige Höchstarbeitszeit entfallen ist (Verdrängungseffekt zu regulären Beschäftigungsverhältnissen).

Fazit:

a)

Das größte Armutsrisiko tragen Arbeitslose. Rund 56 Prozent von ihnen laufen Gefahr, in Armut zu leben (arm ist, wer unter 60 Prozent des Durchschnittsverdienstes in Deutschland liegt).

b)

Knapp 59 Prozent der armutsgefährdeten Personen schaffen es durch einen Niedriglohnjob, aus ihrer Lage herauszukommen.

c)

Für diese Minijobber braucht es in Deutschland aber nach Meinung meiner Gewerkschaft bessere gesetzliche Voraussetzungen, dazu gehört insbesondere die Abschaffung bzw. deutliche Herabsetzung der Geringfügigkeitsgrenze für die Sozialversicherungspflicht. Bei Beibehaltung einer Geringfügigkeitsgrenze ist die (Wieder-)Einführung einer Grenze für die zulässige Arbeitszeit (früher 15 Wochenstunden) in Stunden unerlässlich, um bei einem Monatsentgelt bis zu 450 € einen Stundenlohn zu ermöglichen, der einem Mindestlohn von 8,50 €, wie ihn die Gewerkschaften fordern, entsprechen würde.

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Gedruckt am 29.03.2024 12:56.